Ligetis „Le Grand Macabre“ an der Bayerischen Staatsoper: Apokalypse – Au! (2024)

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Von: Markus Thiel

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Ligetis „Le Grand Macabre“ an der Bayerischen Staatsoper: Apokalypse – Au! (1)

Ligetis Satire über eine drohende Apokalypse ist in, auch an der Bayerischen Staatsoper. Regisseur Krzysztof Warlikowski steht sich mit Verrätselungen bald selbst im Weg, dafür wird in der Festspiel-Premiere ausnehmend gut gesungen.

Also doch Weltuntergang. Zumindest für diese Frauen, Männer und Kinder, die sich stumm ihrem Schicksal ergeben. Anfangs auf einer Wartebank, später ziehen sie weiter in einen mit Stacheldraht bewehrten Käfig, am Ende sind sie ganz verschwunden. Mehr und Eindeutiges wird auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper nicht gezeigt. Man macht sich auch so genügend Gedanken (Handlung am Ende des Textes).

Krzysztof Warlikowski liegt mit den Allusionen und Anspielungen durchaus richtig. „Le Grand Macabre“, diese von Komponist György Ligeti so genannte „Anti-anti-Oper“, ist schräge, grelle Sause, denkt aber auch anderes mit. Ohnehin wäre der polnische Regisseur, in seiner Verrätsel-Manie die Spaßbremse der Theaterszene, nicht der Richtige für Burleske pur gewesen. Es gibt also zwei Welten in dieser Premiere, mit der die Münchner Opernfestspiele eröffnet wurden. Eine Karikaturenparade, mit der Ligeti seine schwarze, späte Opera buffa bestreitet. Und eine reale Ebene Warlikowskis, die mit dem Komponisten zu tun hat: Ligetis Vater und ein Bruder wurden in Konzentrationslagern ermordet, die Mutter kam aus Auschwitz-Birkenau lebend heraus.

Das 1978 uraufgeführte und 1996 revidierte Stück hat (nicht nur) gerade Konjunktur. Apokalypse droht immer, jetzt aber besonders. Sogar die Tempel der Hochkulinarik wie Wiener Staatsoper und Dresdner Semperoper riskierten gerade den Zweistünder, München ist also in bester Gesellschaft. Und dass Intendant Serge Dorny den „Grand Macabre“ über manchen Festspiel-Schicki und Stimmschlürfer hereinbrechen lässt, ist vielleicht die schönste Pointe. Der 2006 gestorbene Ligeti hätte sich amüsiert.

Der Tod als Meister aus Deutschland

Warlikowski fährt für die pausenlose Aufführung alles auf, was das Budget und seine Visionen hergeben. Stringentes, Kanalisiertes, rein Narratives war mit ihm noch nie zu haben. Die Bedeutungsebenen sind viele, sie verschränken und überblenden sich, und manchmal steht sich die Aufführung in ihrer erschöpfend ausgestellten Surrealität selbst im Weg. Dieser Tod, der bei Ligeti besoffen den selbst angekündigten Weltuntergang versäumt, ist dabei offenkundig ein Meister aus Deutschland.

Im hohen Raum, den Ausstatterin Malgorzata Szczesniak als Mixtur aus Wartesaal, Gefängnis und Turnhalle entwarf, überlagern sich die Zeiten und Symbole. Security-Männer halten die Wartenden in Schach, einmal sieht man Stummfilm-Zitate aus „Faust“ von Friedrich Wilhelm Murnau, „Napoleon“ von Abel Gance oder „Das Weib des Pharao“ von Ernst Lubitsch. Das Liebespaar, das bei Ligeti unwissend über die drohende Apokalypse hinwegschmust, besteht hier aus zwei Frauen. Wie oft bei Warlikowski tauchen Gestalten in Tiermasken auf. Und als Sarah Aristidou als Chef der Geheimpolizei ihr durchgeknalltes, in Stratosphären schießendes Sopran-Solo singt, blinken die Lampen auf Alarmstufe Rot.

Kent Nagano lässt zu viel laufen

Überhaupt geht man in die Knie vor dem Gesangsniveau. Man erlebe nur Michael Nagy, der seinem personifizierten Teufel Nekrotzar auch Noblesse und Verzweiflungstöne abgewinnt und die Partie nie an die vokale Grimasse verrät. Oder Sam Carl, der als Astradamors Kerniges aus dem Bass-Keller beisteuert. Besonders aber Benjamin Bruns: Der hat sich vom Lyrischen ins Heldenfach entwickelt und ist als Piet vom Fass als Tenor-Jongleur unterwegs. Es ist ein verblüffendes Spiel mit der Partie, mit Koloratur-Karikaturen, Sprechgesang und Kurzzeit-Dramatik, das Bruns da betreibt. Auch alle anderen, stellvertretend seien nur Lindsay Ammann, Seonwoo Lee oder Kevin Conners genannte, werfen sich in Rollen, die das Höchste an Konzentration abverlangen.

Bedanken dürfen sie sich bei Volker Perplies. Der steuert als Maestro suggeritore und Co-Dirigent aus dem Souffleurkasten das Geschehen. Von Kent Nagano, das war schon zu seiner Zeit als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper so, sollte man sich nicht zu viele Lotsendienste erwarten. Wieder ist zu spüren, wie wohl er sich in solchen Partituren fühlt. Andererseits lässt Nagano auffallend vieles laufen. Ligetis Opus, eine Klang- und Phrasenscherbensammlung, in der Zitate aus der Musikhistorie wetterleuchten, verlangt eigentlich nach einem direkteren, offensiveren Zugriff. Doch Nagano vertraut eher auf die Eigeninitiative des Bayerischen Staatsorchesters. Und dieses reagiert ganz im Stil eines phänomenalen Ensembles: Es liefert.

In den komplexesten Momenten lässt Warlikowski die Sängerinnen und Sänger in Ruhe. Ein virtuos verschachteltes Quartett zum Beispiel darf an der Rampe und mit festem Blick zu den Dirigenten verhandelt werden. Ansonsten offeriert die Regie Schauwerte en masse. All das unterhält durchaus, gerinnt in seiner ständigen Bedeutungsschwere aber zur Illustration. Und so viel Schlimmes in „Le Grand Macabre“ auch widerhallt, so verblüffend virtuos und intelligent mit dem Klangmaterial umgegangen wird: Im Grunde handelt es sich um ein dreckiges Stück, das dem Musiktheater und dem Publikum die Zunge herausstreckt. Ligeti will Anti-, Warlikowski große Oper. So kommen beide nie richtig zusammen.

Die Handlung

Nekrotzar, der personifizierte Tod, prophezeit das Ende der Menschheit. Auf die Botschaft reagiert man in Breughelland verschieden. Der Trinker Piet vom Fass wird zum Sklaven von Nekrotzar. Astrologe Astradamors ist froh, seine obszöne Frau loszuwerden. Der Chef der Geheimen Politischen Polizei fürchtet einen Menschenauflauf. Die Liebenden Amanda und Amando kriegen von alledem nichts mit. Die Vernichtung der Menschheit scheitert, weil Nekrotzar betrunken ist.

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